Es ist Wochenende. Und es ist nicht nur früh und dunkel, sondern es ist auch verdammt kalt da draußen. Der Winter hat denn Norden seit zwei Wochen voll im Griff und Schnee und Eis prägen zur Zeit das Landschaftsbild.

Seit Tagen ist es grau und die Sonne lässt sich immer nur mal kurz zwischendurch blicken. Nichts Halbes und nichts Ganzes. Doch heute zeigt sich keine Wolke auf dem Wetterradar. Klarer Himmel und neun Stunden Sonne. Wer kann da schon widerstehen? Ich jedenfalls nicht.
Trotz der Temperaturen verlasse ich das warme Bett und fahre los. Ich weiß, ich würde mich ärgern, wenn ich es nicht täte.

Ich habe eine genau Vorstellung von dem, was ich heute einfangen möchte. Ich will eine Kombination aus Eis und Sonne. Die Gegensätze von warm und kalt in einem Bild.

Der Tag scheint bereits erwacht, doch noch zeigt sich das Orange der Sonne nur als breiter Streifen über der gegenüberliegenden Küste. Das Licht des Himmels reflektiert auf der spiegelglatten Eisschicht der Innenförde.

Es ist nicht nur still und eiskalt. Es ist vorallem mal wieder verdammt schön. Ich weiß, das sage ich jedesmal, wenn ich das Glück habe zuzusehen, wie die Sonne aufgeht und ein neuer Tag erwacht. Aber ich werde einfach nicht müde davon. Für mich ist es immer wieder unfassbar schön und ich bin immer wieder dankbar diese Momente erleben zu können.
Doch wie so oft frage ich mich, warum es andere Menschen nicht interessiert. Warum sie nicht dabei sind und schätzen, was die Natur zu bieten hat. Kaum eine Seele ist unterwegs, um sich dieses Schauspiel wieder und wieder anzusehen. Ich finde keine mir einleuchtende Erklärung dafür. Doch es scheint, als schere der Mensch sich nicht um seine Umwelt. Hat keinen Sinn für die Wunder, die unser Planet zu bieten hat. Die meisten Menschen können nicht inne halten, verweilen und dankbar sein. Sie wollen immer mehr. Höher, schneller, weiter. Egal in welchem Bereich. Es zählt das Extrem. Das Einfache wird übersehen. Nicht geschätzt. Links liegen gelassen. Nicht selten sogar missachtet.

In diesen Morgenstunden ist die Welt für einen kleinen Augenblick in Ordnung. Vögel sitzen zusammengekugelt, mit ihren Schnäbeln im Gefieder, auf dem Eis und dösen im aufgehenden Licht des Tages. Nur selten erhebt sich einer gen Himmel. Alles verharrt in einer ruhigen und winterlichen Starre.
Das vor ein paar Tagen vorangegangene Hochwasser hat frostige Spuren hinterlassen. Spitze und individuell geformte Zapfen hängen unterhalb der Steganlage und verdeutlichen mir, wie kalt es wirklich ist.

Die Sonne ist bereits hinter dem Land aufgegangen und schiebt sich unaufhörlich höher. Ein erstes gelborangenes Leuchten erreicht nun die Baumwipfel des gegenüber auf einer Anhöhe gelegenen Parks.
Gefrorener Schnee, gemischt mit Eis und Sand säumt das hiesige Ufer. Bei jedem Schritt knirscht und knackt es unter meinen Schuhen. Das tagsüber herangespülte Wasser gefriert in der Nacht und hinterlässt zarte Schichten aus luftigen Eiskristallen.

Ich spüre die Kälte kaum. Bin zu sehr mit meinen Gedanken beschäftigt. Nur meine Wangen spüren ein eisiges Brennen, was paradoxerweise ein wohliges Gefühl von Leben in mir weckt. Und wieder denke ich: Das ist einfach nur schön.
Die Sonne verleiht der Ferne diese zarten Pastelltöne und das Eis vor mir reflektiert so auf eine winterliche und zarte Art. Dieses Licht gibt es im Sommer nicht.

Ich betrachte von Weitem, wie das Licht auf das gefroren Eis trifft und mit welcher Intention und Kraft es die Eiszapfen wie Feuer aussehen lässt. Der reine Wahnsinn.

Genauso hatte ich es mir heute morgen in meinem warmen Bett vorgestellt. Auf genau diese Bilder hatte ich gehofft. Um nichts auf der Welt hätte ich darauf verzichten wollen.
Im Gegenteil. Es bestärkt mich darin, dass es genau richtig ist früh am Morgen allein unterwegs zu sein. Und ich weiß, ich werde es wieder und wieder tun und ich werde wieder und wieder Worte finden. Und sie werden sich ähneln, so wie die Farben und die Emotionen. Wie die Stimmung und die Atmosphäre.

Doch hier und heute ist es besonders. Der Widerspruch in sich. Die warme Sonne und das kalte Eis. Oft wird es dieses Bild in dieser vollkommenen Schönheit nicht geben.

Es sind diese Lichtblicke, diese Kleinigkeiten, die das Leben lebenswert machen. Es sind diese Momente, in denen ich fast alles andere vergesse und einfach nur zufrieden bin.

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